Gebühren für Müll und Abwasser sinken: neues OVG-Urteil
Das für NRW zuständige Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster hat die bisherige Gebührenpraxis für rechtswidrig erklärt. Damit hatten die Städte und Gemeinde erhebliche Gewinne mit angeblich nur kostendeckenden Gebühren erwirtschaftet und im allgemeinen Haushalt vereinnahmt. Was auf den ersten Blick gut für die Bürgerschaft klingt, hat einen massiven Schönheitsfehler: hier wird ein Teil des Haushalts der Städte und Gemeinden durch Beiträge von Zwangskunden finanziert, für die die Politik immer wieder beklagt, dass die Nebenkosten, die "zweite Miete", zu hoch sei. Und mit dieser Gebührenpolitik trägt dann diese Politik selbst dazu bei. Dabei kommt es doch gerade darauf an, die Bürger bei den Wohnkosten zu entlasten!
Konsequenz für Mieter: auch die Nebenkosten müssen anteilig sinken
Für den Wohnpark Bayenthal schon für 2021, denn Vonovia war auf den Rechtsstreit hingewiesen worden mit der Aufforderung, vorsorglich Widerspruch gegen die Gebührenbescheide einzulegen. Damit gäbe es den Anspruch, auch schon für 2021 von den dann geringeren Gebühren zu profitieren.
Das hat Vonovia abgelehnt, damit aber seiner Verpflichtung auf wirtschaftliches Verhalten im Interesse der Mieterschaft verletzt. Und kann deshalb bei der Abrechnung die gezahlten Gebühren nicht als Kosten ansetzen, soweit sie nach der neuen Rechtsprechung niedriger ausfallen.
Mit einem offenen Brief habe ich Vonovia auf diesen Sachverhalt hingewiesen und gefordert, bei der Betriebskostenabrechnung 2021 für alle (!) Mieterinnen und Mieter entsprechend zu verfahren.
Zum OVG-Urteil siehe https://www.justiz.nrw/BS/nrwe2/index.php#solrNrwe, Aktenzeichen 9 A 1019/20
Zum Offenen Brief: https://tinyurl.com/Vonovia-NK-Gebuehren
Rechtsanwalt Dr. Burkhardt Krems, Köln, 31.05.2022
Bund der Steuerzahler unterstützt Musterklage
Mit Gebühren das Existenzminimum besteuern und die Gebührenzahler doppelt zur Kasse bitten: die Gebührenpolitik der NRW-Kommunen - Version 2.21
Zwangskunden für Leistungen der Daseinsvorsorge, die jeder braucht, für die die Kommune aber das Monopol hat, werden zu Beiträgen für den kommunalen Haushalt herangezogen, ohne Rücksicht auf die ihre Leistungsfähigkeit und damit im Widerspruch zum Sozialstaatsgebot. Dabei betont die Politik ständig, Wohnen sei zu teuer: hier wird es politisch gewollt teurer.
Mit Billigung der Rechtsprechung finanzieren die Gebührenzahler einen Großteil der Anlagen, müssen für die mit ihrem Geld geschaffenen Werte anschließend auch noch "kalkulatorische Zinsen" zahlen. Damit die Kommunen fast schon sittenwidrige Gewinne für ihren Haushalt erzielen: fast 200% Rendite bringt die Abfallentsorgung der Stadt Köln 2018, und Gelsenkirchen brachte es bei der Abwasserbeseitigung sogar auf eine Eigenkapitalrendite von 256%.
Es ist gängige Praxis seit Jahrzehnten: Gebühren für die klassischen Leistungen der Kommunen wie Müllbeseitigung, Straßenreinigung und Entwässerung, wo die Bürger zwangsweise Kunden sind, werden so berechnet, dass sich satte Gewinne ergeben, zum Teil höher als die kommunalen Wirtschaftsbetriebe. Für Köln sind es jährlich etwa 50 Millionen € (siehe unten), pro Kopf der Bevölkerung also 50 €, für die Durchschnittsfamilie jährlich 200 €, die von den städtischen Unternehmen als Gewinne in den kommunalen Haushalt fließen. Die Bürger zahlen dies als Teil der Wohnkosten, obwohl sich doch alle politischen Parteien darüber einig sind, dass Wohnen ohnehin schon zu teuer ist. Dennoch langt die Kommune hier zu und verteuert das Wohnen, ohne Bedenken, wie auch bei den Preisen etwa ihres Wärmemessdienstleister Brunata-Metrona, mit dem sie ebenfalls satte Gewinne macht (Umsatzrendite im Jahr 2018 21%), bezahlt als Wohnnebenkosten. Müll- und Abwasserbeseitigung sind unverzichtbar für die Bürger, also existenznotwendig, und mit dieser über die realen Kosten hinausgehenden Gebührenberechnung besteuern Kommunen also das Existenzminimum. Zahlen müssen alle unabhängig von ihrer Leistungsfähigkeit. Ob Verkäuferin, Lagerarbeiter oder Manager. Alle werden „gleichbehandelt“, entgegen dem Sozialstaatsgebot.
Verschiedene Versuche in der Vergangenheit, gegen diese Gebührenpraxis vorzugehen, sind gescheitert. Anders als in anderen Bundesländern wollte der nordrhein-westfälische Gesetzgeber den Kommunen ausdrücklich diese Möglichkeit zur Stärkung ihrer Finanzkraft geben, und ein jüngstes Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen, 13 K 4705/17, sieht, wie frühere Urteile, in dieser Absicht kein Problem. Die Rechtfertigung, dass Gebühren, statt wirtschaftliche Nachteile aufgrund der Leistungserbringung auszugleichen, satte Gewinne bescheren, wird in einer begriffsjuristisch akrobatischen Argumentation gerechtfertigt, wobei weder nach dem Sinn des Gebührenrechts gefragt noch die Entscheidung zwischen verschiedenen Methoden der Gebührenberechnung infrage gestellt wird, so als dürfe jede Kommune willkürlich einen Kostenbegriff des internen Rechnungswesens wählen, der ihr diese Gewinne ermöglicht, und "kalkulatorische Zinsen" auf einem aktuell völlig unrealistischen Niveau von mehr als 6% verlangen, obwohl sie selbst für ihre Kredite weniger als ein Drittel zahlt. Umsatzrenditen bis zu 17% werden so erzielt (siehe unten: AVG Köln 2017 und 2018), obwohl die Unternehmen zum Teil ausdrücklich angeben, nicht kostendeckend zu arbeiten: Gewinne für den kommunalen Haushalt trotz Kostenunterdeckung: hier gelingt die Quadratur des Kreises.
Eine Eigenkapitalrendite von 256%, wie sie Gelsenkanal, der Abwasserbetrieb der Stadt Gelsenkirchen, 2017 erreichte, ist kein "Ausgleich" für das investierte Kapital, sondern sittenwidrig und eine grobe Verletzung des Kostenüberschreitungsverbots. |
Und die Rechtfertigung der Rechtsprechung, den Gemeinden müsse ein Ausgleich gewährt werden für das von ihnen investierte Kapital, erweist sich als untauglich, wenn man die Daten zur Kenntnis nimmt: in Gelsenkirchen erzielte der Abwasserbetrieb Gelsenkanal nach der Gebührenkalkulation, wie sie die Rechtsprechung für richtig erklärt, mit 2 % Eigenkapitalanteil eine Eigenkapitalrendite von 256 %! Das soll eine "angemessene Verzinsung des aufgewandten Kapitals“ sein, wie das Gesetz sie fordert, und laut Rechtsprechung diese Gebührenkalkulation notwendig macht?
Die Gewinne für Köln 2017 und 2018 nach den amtlichen Beteiligungsberichten:
Unternehmen | 2018 | 2017 |
| Gewinn (Mio. €) | Umsatz- rendite | Gewinn (Mio. €) | Umsatz- rendite |
AWB Abfallwirtschaftsbetriebe Köln GmbH | 12,7 | 8% | 18,6 | 12% |
AVG Abfallentsorgungs- und Verwertungsgesellschaft Köln mbH | 17,2 | 17% | 16,2 | 17% |
StEB Stadtentwässerungs-betriebe Köln AöR | 19,1 | 9% | 21,6 | 11% |
Summe | 49,0 | | 56,4 |
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Brunata-Metrona GmbH | 24,5 | 21% | 17,9 | 15,9% |
Datenquelle: Beteiligungsbericht der Stadt Köln 2018 bzw. Geschäftsberichte 2019 der Unternehmen
Der Bund der Steuerzahler (BdSt) unterstützt jetzt einen Prozess, um noch einmal zu versuchen, diese Praxis zu stoppen (Einzelheiten). Bis zum OVG in Münster ist man bereits gekommen (Az. 9 A 1019/20). Ob es die langjährige Rechtsprechungspraxis aufgeben wird bleibt offen. Die Chancen bestehen, denn in der bisherigen juristischen Diskussion sind wesentliche Aspekte der Problematik wohl übersehen worden oder sollten noch einmal gründlich überdacht werden.
Eine Expertise belegt, dass diese Gebührenpraxis rechts- und verfassungswidrig ist: mit Gebühren darf nicht angestrebt werden, Einnahmen für den kommunalen Haushalt zu erzielen. Und die behaupteten "betriebswirtschaftlichen Grundsätze", auf die man sich beruft, existieren nicht, bzw. man bemüht sich gar nicht erst, einen solchen zu zitieren. Und nimmt gern in Kauf, dass Kredite etwas mehr als 2% kosten, man dem Gebührenzahler aber dafür 6,52 % in Rechnung stellen darf, so die Rechtsprechung bisher. Mit Krediten, die für die Müll- und Abwasserbetriebe aufgenommen werden, verdient die Gemeinde mehr als 4% - und niemand merkt es - oder niemand nimmt Anstoß? Die Kölner StEB macht diesen Wahnsinn nicht ganz mit, sondern verzichtet bewusst auf einen Teil der Gebühren, die sie nach der Rechtsprechung fordern könnte, und bleibt damit bei betriebswirtschaftlicher Vernunft. Das sei ausdrücklich angemerkt! Gewinne für den Haushalt macht sie trotzdem, siehe oben, trotz vergleichsweise günstiger Abwassergebühren, siehe den Gebührenvergleich des Bundes der Steuerzahler NRW.
So ist übersehen worden, dass eine Auswahlentscheidung bei zwei Berechnungsmethoden nicht willkürlich getroffen werden darf, sondern sich am Gemeinwohl orientieren muss unter Berücksichtigung der Wertordnung des Grundgesetzes. Und die faktische Besteuerung des Existenzminimums ist ebenso unzulässig wie die Verpflichtung von Zwangskunden, zur Finanzierung des kommunalen Haushalts beizutragen. Das Ziel, die Finanzkraft der Kommunen zu stärken, ist zwar legitim, aber nicht zulasten dieser genannten Rechtsgüter. Und eine besondere Verantwortung hat auch, wer Monopolist ist, wie die Kommune bei diesen Leistungen.
Dann zahlen die Kunden dieser kommunalen Einrichtungen der Daseinsvorsorge auch noch "kalkulatorische Zinsen" auf den Wert der Anlagen, obwohl sie vor allem mit ihren Gebühren finanziert worden sind und damit "Eigenkapital" der Betriebe geschaffen haben. Sie verzinsen also, was sie an Werten zuvor bezahlt haben. Und zu historischen Zinssätzen, aus Zeiten, als es diese Anlagen noch gar nicht gab. Begründung: in dieser Höhe seien den Kommunen Zinsen "entgangen": auch wenn es zu den Zeiten dieser Zinssätze die Anlagen noch gar nicht gab? Macht nichts, sagt die Rechtsprechung, wir werfen alles in einen Topf und verwenden dann den Durchschnittszinssatz der vergangenen 50 Jahre.
In Bayern gilt etwas anderes. Wenn zur Steigerung der Erlöse mit Wiederbeschaffungszeitwerten gerechnet wird, müssen die Mehrerlöse wieder dem Betrieb zugute kommen und dürfen nicht, wie die nordrhein-westfälische Praxis (siehe oben) als Gewinn in den kommunalen Haushalt fließen. Siehe https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayVwV275723/
Zu den juristischen Fragen siehe ausführlich die Expertise zum Gebührenrecht.
Rechtsanwalt Dr. Burkhardt Krems, Köln, 28.08./11.09.2020