Gebühren NRW


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Neu: Expertise zum Gebührenrecht


Gebührenrecht in NRW - Version 3.2 - 

Das Problem in Kürze

Auf Kosten der Gebührenzahler bauen, die Anlagen dann auf ihre Kosten großzügig abschreiben und „kalkulatorisch verzinsen“: so sind kommunale Unternehmen „erfolgreich“. Und nebenbei springen auch noch attraktive Posten für Politiker dabei heraus.

Kommunale Unternehmen der Daseinsvorsorge wie Müll- und Abwasserbeseitigung leisten Erstaunliches: sie arbeiten nicht kostendeckend und können dennoch ihren Kommunen Jahr für Jahr ordentliche Gewinne abliefern. In Köln sind es bis zu 17 % Umsatzrendite, die sie durch die Gebühreneinnahmen erwirtschaften[1]. Und in Gelsenkirchen schafft es der Abwasserbetrieb, der Stadt eine Eigenkapitalrendite von sagenhaften 256% zu erwirtschaften: man arbeitet im wesentlichen mit Krediten, vergoldet der Stadt aber ihr finanzielles Engagement von nicht einmal 3,2 Mio. €[5] mit einem Gewinn von 8,2 Mio. €. 

Wie das geht? Das ist das Thema einer Musterklage, die der Bund der Steuerzahler unterstützt. Dabei hat die Rechtsprechung in den vergangenen Jahrzehnten die kommunale Praxis immer wieder gestützt, die Gebühren so zu bemessen, dass dabei ein ordentlicher Beitrag für den kommunalen Haushalt zustande kam. Erfolg der Klage also ungewiss. Und die Politik klagt seit Jahren über die zu hohen Wohnkosten, da sind ja die bösen Vermieter schuld: dass das auch mit kommunalen Gebühren und Preisen zusammenhängt und die Bürger*innen hier unabhängig von ihrer Leistungsfähigkeit, ob Kleinverdiener oder Großverdiener, zum kommunalen Haushalt beitragen, war den Kommunalpolitikern gleichgültig.

Ein Vergleich der Daten nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen, der Gewinn- und Verlustrechnung GuV, und der den Gebührenzahlern berechneten Kosten, für den Abwasserbetrieb Gelsenkanal soll verdeutlichen, in welchem Ausmaß hier "anders" gerechnet wird: 

Für die Kredite zahlt Gelsenkanal 3,1 Mio. € Zinsen, stellt den Gebührenzahlern aber (jetzt heißt es: "kalkulatorische Zinsen für Fremdkapital") das Fünffache in Rechnung, mehr als 16 Mio. €. 

Es ist lange her, dass die Devise galt, Investitionen der Gemeinden in ihre Unternehmen sollten sich so rentieren wie festverzinsliche Wertpapiere. Heute freut sich Köln, wenn die AVG eine Umsatzrendite von 17% erwirtschaftet und damit der Stadt einen traumhaften Gewinn für das Kapital abliefern, das sie in dieses Unternehmen investiert hat.

So sind die kommunalen Unternehmen also nicht nur der Daseinsvorsorge verpflichtet, sondern auch der Mitfinanzierung des kommunalen Haushalts. Und nebenbei versorgen sie die Politiker mit attraktiven Posten. Beim Aufsichtsratsmandat muss es nicht bleiben, es kann auch ein Geschäftsführerposten dabei herausspringen, wie es jüngst in Köln fast geschehen wäre, wo der Vorsitzende der SPD Ratsfraktion in einer Nacht- und Nebel-Aktion einen für ihn erst neu geschaffenen Geschäftsführerposten übernehmen sollte, Kosten für den Steuerzahler: mehr als 500.000 €. Pro Jahr, versteht sich (Einzelheiten).

Die Rechtsprechung hat das alles mit erstaunlicher Argumentationsakrobatik abgesegnet, siehe dazu die betriebswirtschaftliche und rechtliche Expertise (PDF-Datei). Dazu griff man zwar auf das Vokabular der Betriebswirtschaftslehre zurück, das man nur ein bisschen anders interpretieren und notfalls auch ignorieren musste. Mit dem oben geschilderten Ergebnis, satte Gewinne für den kommunalen Haushalt, selbst wenn man angeblich nicht einmal kostendeckende Gebühren erhebt, wie etwa die Kölner Stadtentwässerungsbetriebe StEB[2], so gut sie als Unternehmen auch geführt sein mögen[3].

Ein Trick in der Argumentation der Rechtsprechung besteht darin, dass sie die Kostenrechnung von ihrem Zeitbezug abkoppelt. Und dann merkt man vielleicht gar nicht was es bedeutet, wenn die sogenannten kalkulatorischen Zinsen im Wirtschaftsjahr, für das die Gebühren kalkuliert werden, berechnet werden nach den Zinsen, die man durchschnittlich in den vergangenen 50 Jahren auf dem Kapitalmarkt hätte erzielen können. Man zahlt für Kredite selbst 2,16% (so Gelsenkanal, der Abwasserbetrieb von Gelsenkirchen, 2017), berechnet den Gebührenzahlern aber 6,45 %. Kredite bringen also mehr als 4% der Kreditsumme Gewinn für den kommunalen Haushalt. Und für das Eigenkapital wären Zinsen von 6,45% in der aktuellen Rechnungsperiode nie möglich gewesen. So rechnet man aber in vielen Kommunen, wie der Bund der Steuerzahler jüngst dokumentiert hat[4].

Eine Eigenkapitalrendite von 256%, wie sie Gelsenkanal, der Abwasserbetrieb der Stadt Gelsenkirchen, 2017 erreichte, ist kein "Ausgleich" für das investierte Kapital, sondern sittenwidrig und eine grobe Verletzung des Kostenüberschreitungsverbots.

Beim sogenannten Eigenkapital, das also nicht mit Krediten finanziert ist, zahlt der Gebührenzahler genau betrachtet doppelt, denn das Eigenkapital, das hier so großzügig kalkulatorisch verzinst wird, wurde zum großen Teil aus dem Gebührenaufkommen finanziert: erst bezahlt der Gebührenzahler den Bau der Abwasserkanäle, dann darf er deren Wert auch noch „kalkulatorisch verzinsen“.

Warum man dabei die Durchschnittszinsen der vergangenen 50 Jahre, und nicht der letzten 15, 30 oder vielleicht sogar 80 Jahren wählt, bleibt unerfindlich, wird aber von der Rechtsprechung nicht einmal diskutiert. Und warum die Frage des Zeitraums, für den Durchschnittszinssätze zu bilden sind, nirgends in der betriebswirtschaftlichen Literatur erörtert wird. Statt dessen werden Quellen aus der betriebswirtschaftlichen Literatur falsch interpretiert, um sie als Belege anführen zu können, oder man verzichtet ganz auf eine Herleitung aus den nach dem Gesetz maßgeblichen "betriebswirtschaftlichen Grundsätzen", § 6 Abs. 2 Satz 1 KAG NRW. 

Darf man willkürlich entscheiden zu Lasten des Gebührenzahlers, der ja Zwangskunde ist, und ohne Unterschied nach der Leistungsfähigkeit, also ohne soziale Rücksichtnahme, wie man die Zinsen berechnet? Dabei kennen wir doch das Willkürverbot, ein wichtiges Element der Rechtsstaatlichkeit. Und das Sozialstaatsgebot. 

Bei der kalkulatorischen Abschreibung verwenden Betriebe oft den Wiederbeschaffungswert als Abschreibungsgrundlage, um sich die Mittel für eine Erneuerung der Anlagen anzusparen. Was wichtig ist für sie, denn sie haben ein Existenzrisiko. Deshalb müssen sie für ausreichend Eigenkapital sorgen und ihre Abhängigkeit von Krediten möglichst verringern. Notwendigkeiten, die für kommunale Betriebe nicht bestehen. Denn dahinter steht die jeweilige Gemeinde, die nicht insolvent werden kann. Und schreibt man uralte Abwasserkanäle mit dem Wiederbeschaffungswert ab, als wenn sie zu den heutigen Preisen gebaut worden wären, dann kommen erkleckliche Summen zusammen, die einen guten Teil des gewünschten Gewinns ausmachen. Abschreiben um anzusparen: das sind dann aber keine Kosten im Sinne der betriebswirtschaftlichen Definition: denn es handelt sich nicht um den durch die Leistung verursachten Wertverzehr. Und im Übrigen: soll der Gebührenzahler heute dazu beitragen, dass die Abwasserkanäle in 60 Jahren erneuert werden? Wo dieses Geld ohnehin nicht angespart wird, sondern schlicht als Gewinn in der kommunalen Haushalt wandert. 

Kein Wunder, dass die kommunale Lobby sich gegen Konkurrenz wehrt mit dem Argument, Daseinsvorsorge dürfe nicht in private Hände gelangen: entgegen allen historischen Erfahrungen ist man einfach konkurrenzlos „gut“. Fragt sich nur, für wen.


 


 

[1]  Daten nach den Beteiligungsberichten der Stadt Köln für 2017 und 2018 für AWB, AVG und StEB. Eine Umsatzrendite von 17% erzielte die AVG.

[2]  siehe StEB-Geschäftsbericht 2017 und in den Folgejahren.

[3]  Die Diskussion am Beispiel der StEB ist ausdrücklich keine Kritik an diesem Unternehmen, das vergleichsweise gut geführt wird, erkennbar nicht nur an den betriebswirtschaftlichen Daten, sondern auch an der Orientierung an Qualitäts-, Sozial- und Umweltstandards.

[4]  siehe den 29. Abfall- und Abwassergebührenvergleich für 2020, https://steuerzahler.de/fileadmin/user_upload/LV_Nordrhein-Westfalen/Dateien/Anlagen_Abfall-_u._Abwassergeb%C3%BChrenvergleich_2020.pdf. Dort (Anlage 5) wird auch dokumentiert, mit welchen Zinssätzen das Anlagekapital verzinst wird: ganz überwiegend deutlich über den eigenen Zinsen und nicht marktgerecht, soweit es um die Zinsen für Eigenkapital geht: meistens steht eine 5 oder sogar eine 6 vor dem Komma, obwohl die Zinsbelastung der Kommunen sich eher im Bereich 2-3% bewegen dürfte (sonst haben sie etwas bei ihrem Schuldenmanagement sehr falsch gemacht).
[5] Wobei das "Eigenkapital" von 3,2 Mio. € überwiegend aus früheren Überschüssen stammen dürfte, also gar nicht aus dem Haushalt der Stadt.

Abschreibung nach dem Wiederbeschaffungszeitwert

Ein betriebswirtschaftlicher Grundsatz? (neu in Version 2.0)

Entspricht die Abschreibung nach dem Wiederbeschaffungszeitwert „betriebswirtschaftlichen Grundsätzen“, die auch die öffentliche Verwaltung berücksichtigen darf?

Die Abschreibung nach dem Wiederbeschaffungszeitwert ist ein Rechenverfahren für die Erzielung zusätzlicher Einnahmen, die nicht Ausgleich für einen durch die Leistungserbringung entstandenen wirtschaftlichen Nachteil sind: es handelt sich also nicht um Kosten, d. h. Ersatz für den Verzehr von Gütern und Dienstleistungen, verursacht durch die Leistungen. So auch die ausdrückliche Klarstellung im bayerischen Kommunalabgabenrecht (vgl. Art. 8 Abs. 3 Satz 4 bayKAG und Nr. 3.6 der Erläuterungen des bayrischen Innenministeriums). Sie ist für private Betriebe zur Existenzsicherung und Sicherung der Kreditwürdigkeit und mittelfristigen Abschreibungszeiträumen empfehlenswert, die sie aber frei variieren und auch andere Möglichkeiten zur Sicherung von Re-Investitionen nutzen können. Die Anwendungsprobleme sind zu beachten. Sie erfasst also keine Kosten nach "betriebswirtschaftlichen Grundsätzen", und verändert ihren Charakter, wenn sie auf öffentliche Betriebe übertragen wird.

Der Abschreibung nach dem Wiederbeschaffungszeitwert wird eine Bedeutung beigemessen, die sie nicht hat. Es handelt sich um eine Empfehlung, die für die Gestaltung des internen Rechnungswesens gegeben wird, und die weder eine normative Bedeutung hat – anders als beim externen Rechnungswesen – noch in dieser Allgemeinheit Gültigkeit beansprucht. Warum soll jemand, der absehbar in einiger Zeit seinen Betrieb aus Altersgründen aufgibt, nach dem Wiederbeschaffungszeitwert abschreiben, wenn feststeht, dass eine Wiederbeschaffung des Anlagevermögens nicht stattfinden wird? Warum soll ein Betrieb nach dem Wiederbeschaffungszeitwert der vorhandenen Anlagegüter abschreiben, wenn feststeht, dass es diese Art der Anlagegüter künftig nicht mehr geben wird, weil technologisch überholt? Oder wenn feststeht, dass eine Reinvestition aus anderen Gründen nicht stattfinden wird? Wer vermag vorherzusagen, wie Müllentstehung, ‑sammlung und ‑beseitigung in 20 oder gar 40 Jahren aussehen werden? Und beim Abwasser geht es um Anlagen mit einer kalkulierten Lebensdauer von bis zu 80 Jahren![1]

Bei der Gestaltung der Abschreibung im internen Rechnungswesen ist der private Betrieb frei und darf deshalb auch seine Kostenrechnung so gestalten, dass Mittel für künftige Investitionen angespart werden. Eine Möglichkeit besteht darin, fiktive Vermögensnachteile als „Kosten“ zu buchen, die tatsächlich nicht auftreten. Es muss deutlich gesagt werden, dass es sich hier um fiktive Werte handelt, und nicht um objektive Wertveränderungen, die berücksichtigt werden müssen. Aus betriebswirtschaftlicher Rationalität ist es zum Beispiel nicht zu erklären, warum trotz absehbarer Veränderungen abzuschreiben ist nach dem Zeitwert für Vermögensgegenstände „gleicher Art und Güte“, obwohl sie in der aktuellen Rechnungsperiode so nicht existiert haben und nie existieren werden.

Legitimiert wird diese Art der Abschreibung lediglich durch das Ziel, ein „Ansparvolumen“ zu schaffen, wie es die Erläuterungen zum bayerischen Kommunalabgabengesetz ausdrücklich für die 2013 geschaffene Möglichkeit der Abschreibung nach dem Wiederbeschaffungszeitwert klarstellen, allerdings verbunden mit der Verpflichtung, den dadurch entstehenden Mehrerlös dem Betrieb wieder zugute kommen zu lassen (Art. 8 Abs. 3 Satz 4 bay), entgegen der nordrhein-westfälischen Praxis, wo der Mehrerlös als Teil des Gewinns in den kommunalen Haushalt fließt, ausdrücklich ausgewiesen in den Beteiligungsberichten (siehe zum Beispiel den Kölner Beteiligungsbericht 2018 für die kommunalen Unternehmen AWB, AVG und StEB). Weil damit allerdings das ganze Verfahren kompliziert wird, verzichten die meisten bayerischen Kommunen gegenwärtig auf diese 2013 eingeführte neue Regelung und bleiben bei der Abschreibung nach dem Anschaffungs- oder Herstellungswert.

Für die öffentliche Verwaltung stellt sich die Frage, ob einem derartigen Rechenverfahren, dass nur eine begrenzte betriebswirtschaftliche Rationalität für private Betriebe aufweist, der Charakter eines betriebswirtschaftlichen Grundsatzes der Kostenrechnung zuerkannt werden darf, der es legitimiert, dies im öffentlichen Rechnungswesen zu verwenden. Ein privater Betrieb ist frei, in internen Rechnungswesen unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten zu wählen, die öffentliche Verwaltung ist aber zu einer solch freien Entscheidung nicht legitimiert, sondern muss sich am Gemeinwohl orientieren. So heißt es deshalb zutreffend in den Erläuterungen zur bayerischen Regelung: die Wahl der Abschreibungsmethode hat nach pflichtgemäßem Ermessen zu erfolgen (Erläuterungen Nr. 3.6). Eine Regelung, die in Nordrhein Westfalen fehlt, und die nicht wenn der nordrhein-westfälischen Praxis entspricht.

Da es sich nicht um reale Kosten handelt, wird in der Praxis auch großzügig kalkuliert. Streng genommen müsste jedes Jahr eine Neubewertung des Anlagekapitals nach dem Wiederbeschaffungszeitwert erfolgen, um die "realen" Kosten berechnet zu können. 

Am Beispiel der Kölner StEB wird die Problematik eines derartigen „Ansparens“ für künftige Investitionen deutlich. Die durchschnittliche, aktuell noch verbleibende Nutzungsdauer des Kanalnetzes beträgt 60 Jahre. Werden 20 Jahre alte Abwasserleitungen abgeschrieben nach dem Wiederbeschaffungszeitwert, soll dadurch angespart werden für eine eventuelle Reinvestition in 40 Jahren? Wie sieht die Welt in 40 Jahren aus? Das ist wohl kaum vorherzusagen. Weder von der Sache her noch vom Finanzbedarf.



[1] Thilo Seyfriedt formuliert in Gablers Wirtschaftslexikon insgesamt 3 Einwände:

(1) Zum Zeitpunkt der Bewertung ist die genaue Höhe der Wiederbeschaffungskosten i.d.R. nicht bekannt. Dies führt zu Prognosefehlern. (Zusatz B. K.: eine jährliche Neubewertung aller relevanten Anlagegüter findet deshalb auch in der kommunalen Praxis nicht statt, weil zu aufwändig.)

(2) Der Ansatz von Wiederbeschaffungskosten unterstellt, dass ein Vermögensgegenstand in unveränderter Form wiederbeschafft wird (identische Reduplikation). Bes. bei langlebigen Anlagen entspricht diese Prämisse angesichts des starken technologischen Wandels häufig nicht der Realität.

(3) Der Ansatz von Wiederbeschaffungskosten führt bei langlebigen Einsatzgütern dazu, dass Faktorpreise, die sich in der Zukunft aufgrund u.U. völlig unterschiedlicher Markt-, Konkurrenz- und allgemeiner Umfeldbedingungen bilden werden, heute in die Kalkulation der Produkte eingehen; dies kann zu marktkonträrem Verhalten führen.

Thilo Seyfriedt, in Gablers Wirtschaftslexikon, Stichwort „Wiederbeschaffungskosten“, https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/wiederbeschaffungskosten-50221/version-273443, Abrufdatum 20.08.2020


Verstoß gegen das Willkürverbot

Es ist ein Verstoß gegen das Willkürverbot, bei mehreren Interpretationsmöglichkeiten des Kostenbegriffs eine Auswahl zu treffen, die sich nicht rechtfertigen lässt mit der Funktion, die Gebühren haben: die Belastung auszugleichen, die durch die Leistung der gebührenrechnenden Einheit entsteht. Gebühren dürfen nicht die Funktion einer Steuer haben, also der Erzielung von Einnahmen für den Haushalt dienen, und damit zur allgemeinen Finanzierung der kommunalen Haushalte beitragen.

Das externe Rechnungswesen der Gemeinden, in NRW als „Neues Kommunales Finanzmanagement“ – NKF – im Detail geregelt, kennt derartige Kostenberechnungen nicht. Es ist willkürlich, wenn die Gemeinde behauptet, ihre so ermittelten Gebühren würden nur entstandene Kosten ausgleichen, während sie in ihrem eigenen externen Rechnungswesen ihr Vermögen und Vermögensveränderungen auf der Grundlage üblicher Abschreibungen nach dem Anschaffungswert darstellt. Lässt man Derartiges zu, kommt es zu der absurden Situation, dass sich das Vermögen der Kommune durch Kalkulation mit Wiederbeschaffungszeitwerten stärker verringern müsste, als in der NKF-Bilanz ausgewiesen, die nur die „normale“ Abschreibung berücksichtigt. Es gibt also eine Differenz zwischen dem amtlich, entsprechend gesetzlichen Vorschriften des NKF, ermittelten Vermögen und dem angeblich durch die höheren Abschreibungen geringeren Vermögen der kommunalen Betriebe bzw. der Kommune.

Die Abschreibung nach Wiederbeschaffungszeitwerten ist auch deshalb willkürlich, weil die Kommunen keinem anderen, der ihr gegenüber rechenschaftspflichtig ist, zum Beispiel weil er Subventionen erhält oder Leistungen gegen Kostenerstattung für die Kommune übernimmt, gestattet, so zu rechnen. Alle anderen dürfen so nicht rechnen, nur die Kommune gegenüber den Gebührenzahlern?

Es ist erstaunlich, dass die Rechtsprechung gar nicht thematisiert, mit welchen Gründen die Wahl zwischen den ihrer Meinung nach bestehenden betriebswirtschaftlichen Kostendefinitionen getroffen wird, so als sei die öffentliche Verwaltung zur willkürlichen Auswahl berechtigt. Wenn unterschiedliche betriebswirtschaftliche Definition existieren wäre es notwendig, in der betriebswirtschaftlichen Literatur nach den Gründen für diese unterschiedlichen Definitionen und die Einsatzbereiche zu suchen, was gar nicht erst versucht worden ist. Zu einer willkürlichen Auswahl ist die Verwaltung von Verfassung wegen aber nicht berechtigt! 

Wenn mehrere Handlungsmöglichkeiten bestehen, muss eine willkürfreie Auswahl getroffen werden, und die Auswahl ist zu rechtfertigen. Die Zielsetzung, eine Ersatzbeschaffung zu refinanzieren, ist unzulässig, denn sie ist vom Gebührenzahler und seiner Inanspruchnahme der Leistungen unabhängig. Es steht nicht einmal fest, ob eine Ersatzbeschaffung und damit eine Reinvestition erfolgen wird. Vielleicht haben sich die Gegebenheiten geändert, die technischen Möglichkeiten im Zeitpunkt einer solchen Reinvestition mit der Folge, dass mit ganz anderen Kostenstrukturen zu rechnen ist, im Hinblick auf Müll zum Beispiel das Verhalten der Bürger als Müllproduzenten, die Möglichkeiten des Recyclings bei der Müllbehandlung, beim Abwasser die Siedlungsstruktur, die andere Versorgungsstrukturen erfordert, usw., alles Unwägbarkeiten, für die der Gebührenzahler nichts kann, auf die er keinen Einfluss hat, weshalb er jedenfalls nicht haftbar gemacht werden darf für Finanzmittel, um eine nicht absehbare Reinvestition zu finanzieren.

Da die Gebührenberechnung willkürlich ist, liegt ein Verstoß gegen Bundesrecht vor und ist Revision zum BVerwG – mit der Begrenzung auf die Frage der Verletzung von Bundesrecht – möglich.

Unzulässige Steuer

Die Berechnung der Gebühren mit Wiederbeschaffungszeitwerten und einem unrealistischen Zinssatz hat die Funktion einer Steuer, einer Belastung der Bürger zur Einnahmeerzielung, allerdings undifferenziert, weil die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit oder andere vom Gemeinwohl her geforderte Differenzierungskriterien nicht berücksichtigt werden.

Die Kommune ist darüber hinaus zur Erhebung einer derartigen Steuer nicht befugt, falls sie befugt wäre, sind die für die Erhebung einer solchen Steuer erforderlichen formellen Voraussetzungen nicht eingehalten und materiell nicht gegeben, weil die entsprechenden, für eine solche Regelung erforderlichen Abwägungen fehlen.

In der Rechtsprechung wird dem Kommunalabgabengesetz NRW – - die ausdrückliche Absicht entnommen, die Eigenkapitalausstattung der Gemeinden zu stärken. Es ist erstaunlich dass die Gerichte das nicht infrage stellen, denn diese Zielsetzung ist mit dem Gebührenrecht unvereinbar. Wer als Zwangskunde für kommunale Leistungen zu Gebühren herangezogen wird darf nicht gleichzeitig gezwungen werden einen Beitrag zur Stärkung der Kapitalausstattung der Gemeinden zu leisten. Denn das ist die typische Funktion der Steuererhebung, und dafür ist das Instrument der Steuer einzusetzen, unter Berücksichtigung der Zuständigkeitsordnung und der Kriterien für die Ausgestaltung der Steuer zum Beispiel zur Gewährleistung der Steuergerechtigkeit. All das geschieht hier ausdrücklich nicht, weil die Absicht der Einnahmeerzielung in das Gebührenrecht gepackt wird.

Zur Berechnung der kalkulatorischen Zinsen

Verzinst wird das gesamte Anlagekapital, auch also auch das "Fremdkapital", sprich: was an Krediten aufgenommen worden ist. Für Kredite zahlt die öffentliche Verwaltung heute minimale Zinsen, selbst wenn noch längerfristige Kredite zum Teil weiterlaufen sollten: der Durchschnittszins dürfte im Bereich 2% bis 3% liegen. Aber den Gebührenzahlern werden 2017 noch 6,52% in Rechnung gestellt, mit der Begründung, das sei der Durchschnittszins der letzten 50 Jahre. Die Gebührenzahler sollen das Dreifache dessen zahlen, was das Fremdkapital kostet - mit welcher Rechtfertigung? Gebühren sollen doch Kosten ausgleichen, also wirtschaftliche Nachteile, die durch die Erbringung der Leistungen des Betriebes entstehen. Hier entsteht ein Gewinn in Höhe von etlichen Millionen. Unverantwortlich und eigentlich nahe am Betrugstatbestand. Nur dass die Rechtsprechung das bisher bestätigt hat, ohne die konkreten wirtschaftlichen Konsequenzen zu benennen. Sollten sie übersehen worden sein?

Auch die Berechnung von kalkulatorischen Zinsen als Ausgleich für den wirtschaftlichen Nachteil der Kapitalbindung nutzen die Kommunen zur Erzielung von Einnahmen, indem sie auch den Teil des Eigenkapitals zugrunde legen, der durch die vom Gebührenzahler finanzierten Überschüsse finanziert worden ist, und unrealistisch hohe Zinssätze ansetzen, zusätzlich auch noch einen Sicherheitszuschlag von 0,5 %.

Einzelheiten zu diesen Fragen jetzt ausführlich in der betriebswirtschaftlichen und juristischen Expertise zum Gebührenrecht.

7. Situation in Köln

Betrachtet man die Situation in Köln, so ergibt sich etwa für die AVG eine Umsatzrendite von zeitweise 17% (Nachweise im Internet), durch angeblich „nur“ kostendeckende Gebühren. Insgesamt belaufen sich die Einnahmen des städtischen Haushaltes aus derartigen Gebühren auf bis zu 50 Millionen € pro Jahr, anders formuliert: jeder Kölner Bürger, unabhängig von seiner Leistungsfähigkeit, zahlt über die Zwangsgebühren für Müll, Abwasser usw. etwa 50 € jährlich in den städtischen Haushalt. Und diese verkappte Steuer belastet natürlich vor allem Familien, weil sie entsprechend ihrem höheren Konsum besonders mit Müll- und Abwassergebühren belastet werden. Das ganze unter dem Regime von Parteien, die sich alle als sozialorientiert verstehen, diese Situation aber seit Jahrzehnten in Kauf nehmen.

Zusatzinformation für die anwaltliche Vertretung

Die hier formulierte Argumentation ist, soweit ich sehe, neu. Es kann sein, dass Rechtsanwälte nicht ohne weiteres bereit sind, sie zu übernehmen. Dabei wird allerdings übersehen, dass Anwälte verpflichtet sind, alle vertretbaren Argumente vorzutragen, und nicht die ihrer Meinung nach richtigen. So die klare Rechtsprechung des BGH zu den Anwaltspflichten. Auch wenn ein Anwalt also die konventionelle Argumentation in einem entsprechenden Verfahren für zutreffend hält, ist er verpflichtet, die hier formulierte Argumentation zusätzlich dem Gericht vorzutragen, denn er hat die Interessen seiner Mandantschaft zu vertreten und demnach alles vorzutragen, was zum Erfolg des Mandanten führen kann. Denn es kann sein, dass das Gericht der Rechtsmeinung des Anwalts nicht folgt, wohl aber einer anderen, vertretbaren Rechtsmeinung. Ein Verstoß gegen dieses Gebot, alle alternativ vertretbaren Meinungen vorzutragen, ist eine Verletzung anwaltlicher Pflichten.

Verfasser und verantwortlich: 
Rechtsanwalt Dr. Burkhardt Krems, Köln. 19./23.08.2020

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