Bedrohte Meinungsfreiheit: Rezensionen müssen nicht "richtig" sein!
Zum Beitrag von Jochen Zenthöfer: Der enttäuschte Autor lässt seinen Anwalt schreiben. FAZ vom 19. April 2017, S. 12
Ein falsches Wort, und schon droht eine einstweilige Verfügung? Das widerspricht der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung! Widerspruch ist notwendig, um unsere freie Gesellschaft und die Qualität unserer wissenschaftlichen Diskussion zu verteidigen
Der Beitrag von Zenthöfer zeigt, dass das Verständnis von Meinungsfreiheit immer noch nicht gefestigt ist. Dabei hat die Rechtsprechung unserer obersten Gerichte erfreulich klare Regeln aufgestellt. Alle referierten Fallbeispiele unterliegen dem Schutz der Meinungsfreiheit, und es ist zu bedauern, dass er nicht eingefordert worden ist, auch wenn das manchmal den Weg durch die Instanzen erfordert hätte.
Zwei grundlegende Missverständnisse sind zu korrigieren:
1. Eine Formulierung kann nicht deshalb untersagt werden, weil sie von anderen in bestimmter Weise verstanden werden kann: es kommt darauf an, wie der Verfasser sie verstanden haben kann. So der BGH im „Schleimerschmarotzerpack“-Urteil 1999, ganz in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
2. Die Aussage des Verfassers, „Bewertungen unterliegen der Meinungsfreiheit, aber falsche Tatsachenaussagen müssen korrigiert werden“, ist nur halb richtig: wenn wir jedes Wort abwägen müssten, wäre die angstfreie, lebendige Diskussion akut bedroht. Das hat das Bundesverfassungsgericht immer wieder deutlich gemacht: „Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird den Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht.“ Es kann also nicht darauf ankommen dass ein Wort durch ein anderes ersetzt wird, damit eine Aussage zulässig wird. „Neben Meinungen sind vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG aber auch Tatsachenmitteilungen umfasst, da und soweit sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind beziehungsweise sein können“ (BVerfG 2011, 1 BvR 461/08).
Dies gilt selbstverständlich für Rezensionen! Hier ist deshalb ein breiter Spielraum anzuerkennen, und Exaktheitsanforderungen auch an die Wiedergabe des Inhaltes der rezensierten Arbeit sind unzulässig. Denn ein Rezensent kann sich, auch bei bestem Willen, irren. Und Rezensionen müssen mit vertretbarem Aufwand möglich sein.
Die Grenze ist bewusste Unwahrheit. Noch einmal das Bundesverfassungsgericht: „Nicht mehr in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG fallen hingegen bewusst oder erwiesen unwahre Tatsachenbehauptungen, … Allerdings dürfen die Anforderungen an die Wahrheitspflicht nicht so bemessen werden, dass darunter die Funktion der Meinungsfreiheit leidet. Im Einzelfall ist eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile nur zulässig, wenn dadurch der Sinn der Äußerung nicht verfälscht wird. Wo dies nicht möglich ist, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden, weil andernfalls eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtsschutzes drohte.“
Die rezensierten Autoren sind ausreichend geschützt durch die Möglichkeit einer Gegendarstellung. Das ist die adäquate Reaktion auf, wie sie meinen, unzutreffende Darstellungen, weil es den Meinungsunterschied transparent macht und damit die Diskussion ermöglicht: darauf kommt es an!
Wir haben hier eine unglückliche Entwicklung bei der Rechtsprechung der unteren Instanzen, und entsprechende Missverständnisse bei Rechtsanwälten. Sie sind sich ihrer spezifisch juristischen Sozialisation nicht bewusst, die zum genauen Gegenteil erzieht: sie müssen sich tagtäglich um Präzision in der Schilderung und Bewertung von Tatsachen bemühen, selbst kleinste Differenzen können über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Das gilt aber gerade nicht für Meinungsäußerungen, einschließlich der Bewertung von Produkten, von Firmen, aber ebenso von Veröffentlichungen mit wissenschaftlichem Anspruch. Aber auch Zivilgerichte verkennen das allzu oft. So rettete erst der BGH einen unbeugsamen Ingenieur vor 100 Tagen Ordnungshaft, weil er einen gewerbsmäßigen Betrüger als Betrüger bezeichnet hatte, was auch das OLG Frankfurt für unzulässig erklärt hatte. Manchmal muss man den Gang durch die Instanzen in Kauf nehmen – sollte es aber! Wir brauchen die gelebte Praxis der Meinungsfreiheit, auch und gerade in der Wissenschaft!
Dr. Burkhardt Krems, Rechtsanwalt, Köln
Recht der freien Meinungsäußerung und Verbraucherschutz gestärkt ...
Ein Sieg für die Meinungsfreiheit und den Verbraucherschutz: Nach dem BGH bestätigt auch das Landgericht Köln, dass unredlichen Gewerbetreibenden bescheinigt werden darf, sie hätten gegen Strafgesetze verstoßen. Betrüger dürfen Betrüger genannt werden, und einer WEG-Verwalterin, die einem betrügerischen Ingenieur mehr als 100.000 Euro für nicht erbrachte und zum Teil gar nicht mögliche Leistungen gezahlt hat, darf öffentlich der Vorwurf der Untreue gemacht werden. - Aber OLG Frankfurt blamiert sich erneut (mehr ...) BGH stellt klar: Betrüger dürfen Betrüger genannt werden
Erst der Bundesgerichtshof musste das OLG Frankfurt korrigieren, das die Bewertung des Schwindels als Betrug untersagt hatte: es sei unzulässige "Schmähkritik". Dabei konnte sich der Kritiker auf einschlägige Gutachten stützen, da sich das Gericht anscheinend außer Stande sah, einfachste physikalische Erkenntnisse selbst anzuwenden. Vielleicht ließ es sich auch davon blenden, dass das betrügerische Unternehmen es erreicht hatte, sich seine "Erfindung" patentieren zu lassen, und ein Zertifikat des TÜV erschlichen hatte. Der Betrüger hatte aufgrund der zunächst erstrittenen Urteile den Kritiker sogar zu 10 Tagen Ordnungshaft verurteilen lassen - die der auch absaß - und danach zu weiteren 100 Tagen, der Vollstreckung entzog sich der standhafte Ingenieur durch Flucht nach Frankreich.
Es sieht so aus, als wenn nun auch die für solche Rechtsfragen zuständige 28. Kammer des Landgerichts Köln zu der gleichen Überzeugung gekommen ist. Die Kammer hatte zunächst eine einstweilige Verfügung erlassen, die untersagte, das Verhalten einer Wohnungsverwalterin (Abschluss eines Vertrages über Bauleistungen ohne Vollmacht und Bezahlung nicht erbrachter Ingenieurleistungen; Schadenssumme: 300.000 ), als Untreue und Betrug zu bezeichnen. Es machte auch nichts, dass deshalb die Staatsanwaltschaft ermittelte. Dabei hatte das Reichsgericht schon 1887 klargestellt, dass die bewusste Überschreitung einer Vollmacht den Tatbestand der Untreue erfüllt, wenn sich daraus ein Prozessrisiko ergibt. Es gibt also eigentlich keinen Zweifel, dass Untreue vorliegt. Nunmehr sieht auch das LG Köln es so, dass das in Beiträgen im Internet so dargestellt werden darf (Urteil vom 29.04.2015, 28 O 511/14, nicht rechtskräftig).
Immerhin gibt es dazu ja eine langjährige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, z. B. den spektakulären, 2009 entschiedenen Fall, in dem sich die Betreiberin des Flughafens Frankfurt a.M. erfolglos gegen einen im Internet verbreitete Stellungnahme zum "Fraport-Skandal" wehrte, in der es unter anderem hieß es existiere ein "Sumpf an Lügen, Täuschung, Vertuschung, Vetternwirtschaft, Polit-Kumpanei und Korruption". Auch hier wieder symptomatisch, wie im Fall des kritischen Ingenieurs: erst der BGH musste die Revision zulassen. (Urteil vom 3. Februar 2009 - VI ZR 36/07).
OLG Frankfurt blamiert sich erneut (29.03.2015)
Die BGH-Entscheidung war anscheinend nicht deutlich genug. Das OLG Frankfurt blamiert sich erneut, denn jetzt will es die Behauptung, die Magneten würden den Primärenergie-Verbrauch bei Heizungen senken, doch tatsächlich von einem Gutachter überprüfen lassen. Dabei gibt es für diese Behauptung keine plausible Begründung. Wie soll die magnetische Ausrichtung von Molekülen den Verbrauch senken, wenn es für eine optimale Verbrennung doch gerade darauf ankommt, den Brennstoff (Gas oder Öl) möglichst fein zu zerstäuben und zu verwirbeln?! Wie soll bei diesem Vorgang also eine Wirkung überhaupt eintreten können? Das müsste mindestens plausibel vorgetragen werden. Und wo bleiben die wissenschaftlichen Nachweise, die die Wirksamkeit wenigstens plausibel machen? Wo bleiben Patent und TÜV-Siegel, mit denen die Firma früher warb? Warum verzichtet sie jetzt auf diese Belege? Und wo bleiben die Produzenten von Heizsystemen, die Schlange stehen, um diese phänomenale Technik einzusetzen, die sich in kürzester Zeit "amortisiert", wenn die Behauptungen nachweislich stimmen? Sie wollen doch alle ihren Kunden möglichst sparsame Heizungen verkaufen!
Das OLG Frankfurt gibt also einem gewerbsmäßigen Betrüger die Möglichkeit, weiter zu machen. Dass man mit Magneten den (Primär-)Energieverbrauch nicht senken kann, hatte der ADAC für PKW-Motoren schon 2000 nachgewiesen, ein weiterer Test 2006 bestätigte die früheren Ergebnisse. Die naturwissenschaftlichen Gesetze sind die Gleichen wie bei Heizungsanlagen.
Und im Übrigen gibt es einen einfachen Test für die Wirksamkeit: man messe den Verbrauch mit den Magneten, nehme die Magnete wieder ab: dann müsste ja wieder der frühere, höherer Verbrauch entstehen. Auch die Handwerksbetriebe, die sich an dem Betrug beteiligen, müssen diesen Test machen, wenn sie sich nicht der Beteiligung am gewerbsmäßigen Betrug vorwerfen lassen wollen. Das andere Testverfahren (Verbrauchsmessung vor Einbau, Reinigung und Einbau, Messung danach), enthält einen systematischen Fehler, der durch Umkehr des Messverfahrens ausgeschlossen werden kann, wenn richtig gemessen wird.